Atomenergie - CReality

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Atomenergie

Energie und Umwelt


Für einen schrittweisen und konsequenten Ausstieg aus der Atomenergie und für die Abschaltung aller AKWs

Analyse

Atomkatastrophe in Japan
Im Anschluss an das Erdbeben und den Tsunami am 11. März 2011 im Nordosten Japans kam es in mehreren japanische Atomkraftwerke zu Störfällen. In mindestens drei, wahrscheinlich aber in noch weiteren Reaktoren brachen die Kühlsysteme zusammen. In verschiedenen Reaktoren kam es zu Kernschmelzen und zu Lecks im Reaktorgehäuse, durch die Radioaktivität austrat. In vor dem Erdbeben stillgelegten Reaktoren gerieten Brennstäbe in Brand, nachdem das Wasser im Kühlbecken verdampft war. Insgesamt 6 von 10 Reaktorenblöcken hatten seit dem 13. März Schwierigkeiten mit ihrem Kühlungssystem.

Am 15. März 2011 stellten japanische Experten eine massiv erhöhte Radioaktivität fest.

Schrittweise wurde der Evakuierungsbereich rund um die beiden Atomkraftwerke Fukushima 1 und 2 zuerst auf 10, dann auf 20 und später auf 30 Kilometer erweitert. Dabei mussten beim ersten Atomkraftwerk 170'000 Menschen und 30'000 Menschen beim zweiten Atomkraftwerk ihre Wohnung verlassen.

Zwar sind die Atomkraftwerke in Japan auf Erdbeben der Stärke 8,25 ausgelegt, doch das jüngste Erdbeben lag bei 8,8. Nach dem 15. März befürchteten Experten eine radioaktive Verstrahlung von ganz Japan. Noch im Juni 2011 traten bei den verstrahlten Atommeilern immer wieder neue Lecks auf, durch die Radioaktivität ausströmte.

Ende März 2011 lag die Radioaktivität in bestimmten Regionen Japans bis 1000 Mal höher als normal. Keiner der sechs Reaktoren von Fukushima war bis Ende März - also mehr als 2 Wochen nach der Katastrophe unter Kontrolle, weiterhin gelangten unkontrollierte Mengen von Radioaktivität in die Umwelt.

Mitte April 2011 begann die Betreiberfirma mit dem Abpumpen von hoch radioaktivem Wasser aus den Schächten des Reaktors 2. Dabei wurden 200 Tonnen von insgesamt 60'000 Tonnen hoch radioaktiv verseuchtem Wasser abgepumpt (Neue Zürcher Zeitung vom 14.4.2011). Gleichzeitig stieg die Wassertemperatur im Abklingbecken von Reaktor 4 wieder auf 90 Grad, und auch die Radioaktivität in der Luft nahm zu. Die Betreiberfirma konnte keinen Grund dafür angeben. All diese Meldungen beweisen, dass die Situation in Fukushima während Monaten ausser Kontrolle war, ja es stellt sich sogar die Frage, ob heute (2015) die Situation unter Kontrolle ist. Noch Mitte 2012 lag die Strahlung in den Reaktorgebäuden und in unmittelbarer Nähe im hochgefährlichen Bereich. Ausserdem hatte sich herausgestellt, dass die Betreiberfirma die Stahlenmessgeräte künstlich manipuliert hatte – z.B. mit einer Bleiabschirmung –, um eine weniger hohe Stahlung vorzutäuschen (vgl. Die Zeit-online vom 21.7.2012).

Geteilte Reaktion auf die Atomkatastrophe
Am 15. März 2011 gab die deutsche Regierung bekannt, dass sie alle vor 1980 gebauten Atomkraftwerke sofort für drei Monate vom Netz nehme und die kurz zuvor verlängerte Laufzeit aussetze. Mit den gleich strengen Kriterien müssten in der Schweiz vier der fünf Atomkraftwerke vom Netz genommen werden, nämlich Beznau 1 (Baujahr 1969), Beznau 2 (Baujahr 1971), Mühleberg (Baujahr 1972) und Gösgen (Baujahr 1979). Auch das neueste Atomkraftwerk der Schweiz – Leibstadt – ist bereits mehr als 30 Jahre alt (Baujahr 1984; http://www.kernenergie.ch/de/atomkraftwerke.html)!

Die einzelnen Länder haben also sehr unterschiedlich auf die japanische Atomkatastrophe reagiert: Am 30. Juni 2011 beschloss der deutsche Bundestag auf Antrag der Regierung mit den Stimmen der CDU, FDP, SPD und der Grünen mit 513 gegen 79 Stimmen den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Gleichzeitig wurde beschlossen, die sieben bereits abgeschalteten AKW nicht mehr ans Netz zu nehmen und die restlichen neun Atomkraftwerke sukzessive abzuschalten, die meisten 2021 sowie 2022 (vgl. Schmid in Neue Zürcher Zeitung vom 1.7.2011). Auch die schweizerische Regierung beschloss grundsätzlich den Ausstieg aus der Atomenergie. Allerdings ist dieser Entscheid in der Zwischenzeit wieder weitgehend verwässert worden. Die italienische Bevölkerung lehnte an Pfingsten 2011 in einem Referendum den Bau von Atomkraftwerken mit 94,6% der abgegebenen Stimmen ab. Auf der anderen Seite beharren die Regierungen Frankreichs, Chinas und weiterer Länder auf dem Betrieb teilweise veralteter Atomkraftwerke und auf dem geplanten Bau weiterer Atommeiler.

Abgesehen von Deutschland, Österreich - das selber keine AKWs besitzt - und der Schweiz scheint die Atomkatastrophe in Japan den Regierungen kaum Eindruck zu machen: Die USA wollen 20 bis 30 neue AKWs bauen, Polen will bis 2030 2 neue Atommeiler erstellen, Frankreich hält unverrückbar an seiner Atompolitik fest, und Russland, Indien, China und Brasilien planen Dutzende neuer AKWs. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Bevölkerungen diese kurzsichtige Energiepolitik weiterhin unterstützen werden.

Atomkraftwerke in der Schweiz
Was geschieht bei einer Kernschmelze? "Bei einer Kernschmelze überhitzen die Brennstäbe eines Atomreaktors. Dabei verflüssigen sie sich und können sich in eine radioaktive Schmelze verwandeln. Die Atomspaltung kann damit nicht mehr kontrolliert werden. Ein bis zu 2000 Grad Celsius heisses Gemisch aus Spaltmaterial und Metall könnte sich so durch die Schutzhülle des Reaktorkerns fressen und in die Umwelt gelangen" (Zentralschweiz am Sonntag vom 13.3.2011). Bei einer Kernschmelze können enorme Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre und in den Boden gelangen. Dazu kommt, dass Brennstäbe nach einigen Betriebsstunden Plutonium enthalten. Plutonium ist einerseits das wohl toxisch giftigste Element und anderseits weist es eine Halbwertszeit von 24'000 Jahre auf. In den vergangenen Jahren sind AKW-Betreiber dazu übergegangen, Brennstäbe - so genannte Mox-Brennstäbe - zu verwenden, welche zwischen 5 und 7% Plutonium enthalten. Dieser Anteil steigt mit der Laufzeit um weitere 2%. Laut Boos (in WochenZeitung vom 24.3.2011) sind heute in Gösgen 32 von 177 Brennstäben Mox-Brennstäbe, in Beznau I sind es 12 von 121 und in Beznau II 32 von 121. Während Uranbrennstäbe bei 1100 Grad schmelzen, ist dies bei Mox-Brennstäben bereits bei 700-900 Grad der Fall. Mox-Brennstäbe sind mit drei zusätzlichen Problemen verbunden:
- Der Reaktor ist schwieriger zu handhaben.
- Der Brennstoff muss bis 100 Jahre zwischengelagert werden, weil die Wärmeentwicklung grösser ist.
- Die Langzeitlagerung ist noch schwieriger, weil mit Mox mehr Neptunium-237 entsteht, das sehr mobil ist und eine Halbwertszeit von mehr als zwei Millionen Jahren hat (Boos in WochenZeitung vom 24.3.2011).

Fazit: Die schweizerischen Atomkraftwerke sind nicht nur veraltet und brandgefährlich, sondern sie werden zusätzlich auch mit der hoch gefährlichen Mox-Technologie betrieben.

Gründe für die Atomkatastrophe in Japan
Vorläufig lassen sich folgende Gründe für die Atomkatastrophe in Japan feststellen:
- Die vorgesehenen Notstromsysteme zur Aufrechterhaltung der Reaktorkühlung bei äusseren Einflüssen sind ungenügend, unsicher und oft auch schlecht gewartet.
- Während Stunden und Tagen nach dem Erdbeben waren kaum genaue Informationen über das Geschehen in den Reaktoren und in den Atomkraftwerken vorhanden - offenbar sogar auch bei den Betreibergesellschaften und bei der japanischen Regierung.
- Die Atomtechnologie ist nach wie vor viel zu kompliziert, schwer zu kontrollieren und bei grossen Störfällen kaum mehr steuerbar. Sogar still gelegte Reaktoren (wie im Falle des Reaktors 4 von Fukushima 1) weisen ein enormes Risiko auf, weil die Brennstäbe weiterhin gekühlt werden müssen.
- Die Auswirkungen von grossen Störfällen sind unvorhersehbar. Deshalb ist die Atomenergie als ganzes viel zu gefährlich und birgt ein unabsehbares Gefahrenpotenzial.

Atomenergie ist unwirtschaftlich
Wirtschaftliche Studien über die Atomenergie kommen zum Schluss, dass es - neben den technischen Risiken und dem ungelösten Problem der Lagerung der radioaktiven Abfälle - drei zentrale Risiken gibt: Die enormen Kosten beim Bau, der unterbruchsfreie Betrieb und die ungewissen Strompreise können laut Citigroup auch den grössten Betreiber in die Knie zwingen. Seit 2003 nahmen die Baukosten für Atomkraftwerke durchschnittlich 15% pro Jahr zu, wie eine MIT-Studie zeigte (vgl. Müller/Frommberg in Schweizerische Handelszeitung vom 17.3.2011). So stiegen etwa die Ausgaben für das neueste AKW in Finnland von den geplanten 3 auf 5,3 Milliarden Euro, statt wie geplant 2009 ans Netz zu gehen, verzögerte sich die In-Betrieb-Nahme um Jahre. Eine Untersuchung des französischen Atomprogramms durch Anulf Gubler ergab Folgendes: Ab den 70er Jahren bis ins Jahr 2000 hatte Frankreich 58 AKW gebaut. Aufgrund der zunehmenden Erfahrung hätten die Erstellungskosten sinken müssen. Stattdessen stellte Gubler einen "negativen Lerneffekt" fest: Die AKW wurden immer teurer. Auch operativ werden AKW nicht billiger. Einer der zentralen Kostentreiber ist hier die Unsicherheit betreffend Regulierung. Schärfere Kontrollen führen genauso oft zu Betriebsunterbrüchen wie höhere Sicherheitsstandards, die Nachrüstungen nötig machen. Muss ein AKW vom Netz, beeinträchtigt das wegen der hohen Fixkosten seine Rentabilität massiv" (Müller/Frommberg in Schweizerische Handelszeitung vom 17.3.2011). Ausserdem lassen sich AKW ohne staatliche Subventionen nicht profitabel betreiben. Der Staat haftet nicht nur für die finanziellen Risiken beim Bau von AKWs, sondern auch für die Kosten eines Grossunfalls. Bei Schäden über den versicherten 1,8 Milliarden Franken haften die Kraftwerkbetreiber, und wenn deren Kapital nicht reicht, der Staat. Ausserdem sind die wirtschaftlichen Kosten der Endlagerung unabsehbar. Auch in Frankreich wurden die Kosten und vor allem die Folgekosten der Atomenergie völlig unterschätzt. Nachdem der Rechnungshof die unzureichenden Rückstellungen für den Abriss von AKWs und für die Endlagerung kritisiert hatte verlängerte Paris kurzerhand die Frist für die Bildung von Rückstellungen für Betreibergesellschaft EDF von 2011 auf 2016 (Bläske in Neue Zürcher Zeitung vom 14.7.2011). Laut Schätzungen wurde in Frankreich die Atomenergie von 1946-1992 mit mehr als 50 Milliarden € subventioniert. Analytiker halten die Atomenergie unter Berücksichtigung der Subventionen und der Kosten für die Stilllegung, Nachrüstung, Rückbau und Entsorgung für nicht rentabel. Auch die UBS rät privaten Investoren ab, in neue Atomkraftwerke zu investieren: 7 Milliarden € an Kapitalkosten, lange Planungs- und Bauphasen sowie politische Unsicherheiten stellten unkalkulierbare Risiken dar (Bläske in Neue Zürcher Zeitung vom 14.7.2011).

Einfluss von AKWs auf Immobilien

Eine Studie der Universität Bern und der Immobilienberatungsfirma IAZI ergab, dass Atomkraftwerke in der Nähe von Wohnliegenschaften deren Wert sinken lassen. Insbesondere Häuser in 2,5 bis 3 km Entfernung von AKWs sind 9% weniger wert als vergleichbare Häuser, deren Entfernung mindestens 15 km zum Atomkraftwerk beträgt. Bei 5 km Entfernung beträgt der Wertverlust 6%, bei 10 km 1,1%. Erstaunlicherweise nimmt dann der Wert in unmittelbarer Nähe zu einem Atomkraftwerk (d.h. bis 2,5 km) wieder zu. Als Grund für diesen Effekt in unmittelbarer AKW-Nähe nennen die Studienverfasser die erhöhte Nachfrage von AKW-Mitarbeitenden nach Wohneigentum in unmittelbarer Nähe des AKWs und dank Kompensationsleistungen tiefere Steuersätze in den Standortgemeinden. Die Studie stützt sich auf 37'000 Handänderungen zwischen 1981 und 2007 (Neue Zürcher Zeitung vom 10.2.2011).


Lösungsansätze

Der Atom-Experte Walter Wildi (in Zentralschweiz am Sonntag vom 13.3.2011) hielt ohne Wenn und Aber fest, dass die Schweiz eindeutig bessere Notstromversorgungssysteme für Atomkraftwerke braucht. Laut Wildi beruhen die Notstromversorgungskonzepte in den schweizerischen Atomkraftwerken auf einer nicht geeigneten Technologie.

Gestützt auf die Atomkatastrophe in Japan müssen für die Schweiz und Europa folgende Konsequenzen gezogen werden:
1. Verbesserung der Notstromaggregate und der Notstromversorgung zur Aufrechterhaltung der Kühlsysteme aller bestehenden Atomkraftwerke.
2. Verzicht auf den Bau weiterer Atomkraftwerke.
3. Sofortige Abschaltung der drei ältesten Atomkraftwerke in der Schweiz, also Beznau I, Beznau II und Mühleberg.
4. Schrittweise Abschaltung der beiden übrigen Atomkraftwerke (Gösgen und Leibstadt) in den nächsten fünf Jahren.
5. Rückbau aller stillgelegten Atomkraftwerke auf Kosten der Betreiber.

Mittelfristig müssen Bundesrat und Parlament
1. ein umfassendes Investitionsprogramm für erneuerbare Energie (Wasserkraftwerke, Wind- und Solarenergie) beschliessen,
2. die Forschung für erneuerbare Energie massiv aufstocken,
3. allenfalls mittels Notmassnahmen landschaftsschützerische Bedenken überwinden und zusätzliche Kraftwerke errichten oder bestehende Kraftwerke ausbauen, um eine durch die Abschaltung der Atomkraftwerke drohende Stromlücke zu schliessen,
4. unbefristete und unlimitierte Massnahmen zum Energiesparen und zur dezentralen Produktion von Energie treffen, wie z.B. Förderprogramm für Wärmedämmung älterer Häuser, Förderbeiträge für Sonnenkollektoren und Fotovoltaikanlagen usw.


Angeführte Literatur
Die Zeit-online
21.7.2012: Fukushima: Arbeiter haben Strahlenmessgeräte manipuliert.
Neue Zürcher Zeitung
10.2.2011: AKW dämpfen Preise nicht linear.
14.4.2011: Fortschritt in Fukushima.
1.7.2011: Schmid, Ulrich: Der Atomausstieg ist deutscher Konsens.
14.7.2011: Bläske, Gerhard: Die Kosten von Frankreichs Atomstrom.
Schweizerische Handelszeitung
17.3.2011: Müller, Armin / Frommberg, Laura: Das Japan-Syndrom.
WochenZeitung

Boos, Susan: Mox in Gösgen und Betnau. Die Kernschmelze käme schneller.
Zentralschweiz am Sonntag
13.3.2011: Kern muss jahrelang gekühlt werden. Interview mit Walter Wildi.

 
 
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