Mobilität und Verkehr - CReality

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Mobilität und Verkehr

Energie und Umwelt


Statt Durchsetzung absoluter Mobilität Förderung relativer Mobilität und Stärkung lokaler sowie ressourcenschonender Lebensformen

Analyse

Eines der wichtigsten Bedürfnisse des modernen Zeitalters ist das Bedürfnis nach Mobilität. Dieses Bedürfnis wird gesamtgesellschaftlich über die verschiedenen Verkehrsmittel abgedeckt. Im Unterschied zu anderen Gütern und Dienstleistungen, die mit grösserer Menge billiger werden, steigen die Kosten des Verkehrs mit zunehmender Bevölkerungsdichte. Das ist – etwa in der Schweiz – zum Teil auch beabsichtigt, wie etwa das bundesrätliche Konzept der Finanzierung des Verkehrs zeigt (vgl. Schneeberger in Neue Zürcher Zeitung vom 23.7.2012a). So sollen etwa ab 2013 Beteiligungsbeiträge der Passagiere im öffentlichen Verkehr nicht nur an die Betriebskosten, sondern auch an die Infrastruktur der Eisenbahn gehen. Gleichzeitig sollen Autobahnvignette und Mineralsteuerzuschläge erhöht werden, was wiederum durch die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlt werden muss.

Mobilität ist auf der einen Seite ein Grundbedürfnis, kann aber auch ein substitutives Bedürfnis sein: Wenn etwa in einer bestimmten Region keine oder nicht genügend Stellen vorhanden sind, ist Mobilität in Form von Pendeln oft die einzige Möglichkeit, im Arbeitsmarkt zu verbleiben.

Studien haben ergeben, dass Pendler einen hohen Preis zahlen. Auf der einen Seite ist Pendeln belastend für die Gesundheit, und anderseits ist Pendeln laut den Ökonomen Bruno S. Frey und Alois Stutzer „ein gewaltiger Glückskiller“ (vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:22). Um diesen Glücksverlust zu kompensieren benötigen Pendler mit einem Arbeitsweg von über einer Stunde laut Frey und Stutzer bis zu 40% mehr Lohn (vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:22).

Im öffentlichen Verkehr sind nur gerade die Fernverkehrsstrecken Zürich-Bern und Genf-Lausanne rentabel. Der öffentliche Verkehr wird in der Schweiz aus verschiedenen Töpfen zu 50% subventioniert (vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:22), was bedeuten würde, dass bei „Kostenwahrheit“ die Billetpreise verdoppelt werden müssten.

Im europäischen Vergleich sind das Generalabonnement und die Monatsabonnemente konkurrenzlos tief, während die Preise für Einzelbillete „spitzenmässig teuer“ (Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:22) sind. Je grösser das Einkommen, desto mehr geben die Pendler durchschnittlich für den Verkehr aus und desto länger sind die zurückgelegten Pendlerstrecken.

Pro Kopf investiert die Schweiz europaweit am meisten in den Schienenverkehr, nämlich 308 Euro. An zweiter Stelle steht Österreich. Demgegenüber bildet Deutschland mit 53 Euro pro Kopf und Jahr das Schlusslicht:

Wie verteilen sich Privatverkehr und öffentlicher Verkehr in der Schweiz? 2010 waren es rund 6 Milliarden Fahrten im Privatverkehr und 2 Milliarden Fahrten im öffentlichen Verkehr (Bahn und Bus; vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:24).

Im Privatverkehr ist der Stau zunehmend ein Problem: 2005 verbrachten Autofahrer 35 Millionen Stunden im Stau, das waren 75% mehr als zehn Jahre zuvor (vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:23).

Das schweizerische Steuersystem belohnt vor allem das unökologische Pendeln im Privatauto: Pendler können ihre Pendlerkosten unter Berufsauslagen weitgehend abziehen: Bei Pendlern im öffentlichen Verkehr sind das die Abonnementskosten, bei Privatpendlern sind es ansehnliche Kilometerpreise. So rechneten Krättli/Meier (im Beobachter 18/2011:25) vor, dass 2011 ein Pendler im Privatauto, der zweimal täglich 100 km im Auto zurücklegte, volle Fr. 22'000.- pro Jahr abziehen konnte.

Was auffällt ist die Tatsache, dass meist unhinterfragt von einem massiven Wachstum des Bedürfnisses nach Mobilität und damit nach Verkehrsdienstleistungen in den nächsten Jahrzehnten ausgegangen wird. So gehen viele Prognosen in der Schweiz für die Zeit bis 2030 zu einem Verkehrswachstum bis zu 50% aus (vgl. Schneeberger in Neue Zürcher Zeitung vom 23.7.2012a). Dabei sind die Verkehrskosten für die Benutzer bereits in den letzten 20 Jahren stärker gestiegen als der Landesindex der Konsumentenpreise. So stieg etwa der Preis für einen Liter bleifreies Benzin von 1990 bis 2012 um 67%, derjenige eines Bahn-Billets zweiter Klasse um 50% (vgl. Schneeberger in Neue Zürcher Zeitung vom 23.7.2012a).

Dass eine geringere berufliche Mobilität durchaus möglich wäre, zeigte eine Berechnung der Universität St. Gallen, wonach nämlich in der Schweiz rund 450'000 Personen wenigstens einen Tag pro Woche daheim arbeiten könnten (vgl. Krättli/Meier im Beobachter 18/2011:26).



Lösungsansätze

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob steigende Mobilität nicht längerfristig zu einer Abnahme des Wohlstandes und der Lebensqualität führt. Dies nicht nur angesichts der steigenden Verkehrskosten, sondern auch in Bezug auf die wachsende Zeitspanne, die wir jeden Tag in den Verkehrsmitteln verbringen. Die alten ökologischen Postulate nach Kleinräumigkeit, Ausrichtung auf das lokale Umfeld und Dezentralität in Produktion und Konsum werden in nächster Zeit zweifellos wieder an Aktualität gewinnen.

Der unhinterfragte quantitative Ausbau von Verkehrsangeboten sollte durch eine verstärkte Ausrichtung auf Qualität im Verkehrsbereich ersetzt werden, wobei ein freiwilliger Verzicht auf Mobilität finanziell – zum Beispiel durch Steueranreize – belohnt werden könnte. Es wäre auch zu überlegen, ob das potenzielle Hamstern von Verkehrsleistungen – etwa in Form grosser Wagenparks, die ja sogar auch bei Nichtnutzung Raum brauchen und Kosten verursachen – mit negativen Anreizen zu versehen wäre.

Einen interessanten Ansatz stellt das Mobility Pricing dar, so wie es zum Beispiel in den Niederlanden diskutiert wird, obwohl Bedenken punkto Datensicherheit vorderhand zum Scheitern des Projekts geführt haben (vgl. Schneeberger in Neue Zürcher Zeitung vom 4.8.2011). Doch was ist mit Mobility Pricing gemeint? Es geht darum, den Kilometerpreis für die Mobilität bei bestimmten Transportmitteln - zum Beispiel beim Auto - zu erhöhen und damit zu erreichen, dass auf andere, billigere Transportmittel umgestiegen wird. Insbesondere die sozialen und ökologischen Kosten des motorisierten Verkehrs müssen zu mindestens 100%, möglicherweise zu einem noch höheren Prozentsatz einberechnet werden. So soll etwa durch eine Neustrukturierung der Motorfahrzeugsteuern, die statt wie bisher in Form einer Jahrespauschale als Kilometerabgabe bezahlt werden sollen, ein Anreiz geschaffen werden, um zum Beispiel für Kurzstrecken vom Auto auf das Fahrrad zu wechseln. Dadurch würde die Sensibilität der Autofahrer für die Kosten des einzelnen Fahrtkilometers erhöht.


Angeführte Literatur
Der Beobachter
18/2001: Krättli, Nicole / Meier, Peter Johannes: Der mobile Wahnsinn
Neue Zürcher Zeitung
12.7.2011: Alpenländer buttern am meisten in die Schiene.
4.8.2011: Schneeberger, Paul: Die Bahn wird zum Tram, Mobility-Pricing ist in Sicht.
23.7.2012a: Schneeberger, Paul: Spitzen im Verkehr brechen.
23.7.2012b: Schneeberger, Paul: Verkehrsinvestitionen wachsen überproportional.

Weiterführende Texte
Jäggi, Christian J.
2014: Die Befriedigung wirtschaftlicher und sozialer Bedürfnisse. LE V2. Meggen: Inter-Active. 32 Seiten.
Bezugsadresse: creality@bluewin.ch.

 
 
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