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Finanzmärkte

Wirtschaft


Für eine Finanzwirtschaft im Interesse aller Menschen

Buchhinweis – Neuerscheinung 2018:
Christian J. Jäggi:
Wirtschaftsordnung und Ethik: Problemfelder – Modelle – Lösungsansätze.  
Wiesbaden: Springer Gabler Verlag. 142 Seiten. ISBN 978-3-658-230-333
 
Preis:  ca. EURO 38.-, br., auch als eBook.
Zum Inhalt:

Viele wirtschaftsethische Diskussionen konzentrieren sich auf Business Ethics und Unternehmensethik, auf Fragen des Compliance Managements oder auf tugendethisches Verhalten im Markt. Dabei werden oft übergeordnete Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Wirtschaftssystem, ordo-ökonomischen Spielregeln und zum Zusammenhang von Markt und Ethik in den Hintergrund gedrängt. Der vorliegende Band stellt die wichtigsten volkswirtschaftlichen Ansätze vor dem Hintergrund ethischer Überlegungen zur Diskussion, so unter anderem die Sicht der ökonomischen Klassiker wie Adam Smith, kapitalismuskritische Ansätze,  neo-liberale Konzepte, Vorstellungen der Ordo-Liberalen und der Vertreter der Sozialen Marktwirtschaft. Vor dem Hintergrund der Globalisierung werden Fragen der Wirtschaftsordnung und der Demokratie, ordnungspolitische Vorstellungen und Möglichkeiten einer solidarischen Ökonomie thematisiert. Am Beispiel der Armutsproblematik, der existenziellen Grundsicherung, ökonomischer Care-Konzepte, Eigentumsvorstellungen und der globalen Migration werden neue ordo-ethische Lösungsansätze entwickelt.
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Analyse


In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Realwirtschaft, also die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, und die Finanzwirtschaft immer mehr auseinander bewegt. Während sich zum Beispiel in Deutschland die produzierte Gütermenge in den letzten 30 Jahren vervierfachte, wuchs im gleichen Zeitraum die Geldmenge zehnmal stärker, nämlich um das vierzigfache (Berger/Schmauder in Humane Wirtschaft vom Sept./Okt. 2009:8).

Das Auseinanderklaffen von Produktion und Finanzwirtschaft zeigt sich noch aus einem anderen Blickwinkel: Während die Realwirtschaft langfristig höchstens linear wächst, nimmt die Verschuldung exponential zu: So verdoppelten sich in der Bundesrepublik die Vermögenswerte – und damit die Schulden der anderen - zwischen 1950 und 1960 noch um 160 Milliarden DM, waren es zwischen 1990 und 2000 bereits 3,4 Billionen DM. Projiziert man diese Rate in die Zukunft, dann wären es zwischen 2040 und 2050 bereits 137 Billionen DM (= 68,5 Billionen Euro) (Bichlmaier 2009:46). Was das in Bezug auf die Inflation heissen wird, kann man sich vorstellen.

Nach 1990 sind immer mehr Firmen dazu übergegangen, bedeutende Anteile ihres Vermögens spekulativ anzulegen. Ja, nicht wenige Firmen verdienten vor der Finanzkrise mit Finanzanlagen wesentlich mehr Geld als in ihrem eigentlichen Kerngeschäft.

Hochspekulative Anlageformen erlebten zwischen 1990 und 2007 einen enormen Boom. So betrug Ende 2007 die Summe der Derivate laut der Bank für internationalen Zahlungsausgleich BIZ 596 Billionen Dollar. Zum Vergleich: Die bis Ende 2008 erfolgten Abschreibungen der Banken aufgrund der Immobilienkrise in den USA betrugen weltweit 2,2 Billionen Dollar –eine astronomische Summe, aber weniger als ein halbes Prozent des Risiko- oder besser Vernichtungspotenzials der Derivate! 596 Billionen Dollar entsprechen dem zwölffachen Wert der Weltwirtschaftsleistung pro Jahr (Elsässer in Zeit-Fragen vom 5.1.2009).

Wichtige Anlageinstrumente sind Derivate. „Ein Derivat kann definiert werden als Finanzinstrument, dessen Wert von den Werten anderer grundlegender Variablen abhängt (d.h. aus ihnen abgeleitet wird). Sehr oft sind die den Derivaten zugrunde liegenden variablen Kurse gehandelter Vermögensgegenstände. Eine Aktienoption ist zum Beispiel ein Derivat, dessen Wert vom Kurs einer Aktie abhängig ist. Allerdings können Derivate von so gut wie jeder Variablen abhängen, vom Preis von Schweinen bis zur Schneemenge, die in einem bestimmten Skigebiet fällt“ (Hull 2009:24).

Max Otte (2006:114) schrieb zur Anlageform der Derivate: „Derivate sind nicht nur eng mit Dummheit, Leichtsinn, Selbstüberschätzung und Unfähigkeit verbunden. Wie der Fall Enron zeigt, fordern sie auch zum Betrug in grossem Stil auf“.

Derivate und andere hoch spekulative Anlageformen mussten fast zwangsläufig zu einer riesigen Finanzblase führen, die irgendwann platzen musste. 2008 gingen Finanzökonomen davon aus, dass das Finanzkapital jeden Tag den Globus siebenmal umrundete. Diese enormen Geldflüsse führten zu einer ungeheuren Aufblähung der Finanzvermögen.

Dieses Finanzkapital fehlte dann natürlich im Produktionsbereich, was vor allem in wenig entwickelten Ländern zu Armut, Hunger und Elend führte. Kleine Firmen, risikoreiche Neuunternehmen oder wenig produktive Bereiche konnten kein Kapital finden, weil sie die enormen Renditevorstellungen der Geldgeber nicht erfüllen konnten. So verlangten vor der Finanzkrise 2008/2009 viele Gross-Anleger eine Eigenkapitalrendite von 20% oder mehr, was zu einer horrenden Verschuldung führen musste. Hedgefonds kauften stabile, überkapitalisierte Unternehmen mit Fremdkapital auf und bürdeten diesen Unternehmen nach dem Kauf diese Schulden auf, während sie selber Milliarden kassierten. Bis heute leiden Unternehmen unter diesen enormen Schuldenlasten.

Umgekehrt wird die Bedeutung der Finanzbranche für die Realwirtschaft nicht selten überschätzt. So trägt etwa in der Schweiz die Finanzbranche mit knapp 6% der Beschäftigten gerade 12% zum schweizerischen Bruttoinlandprodukt bei, und die Grossbanken allein zwischen 3,5 und 4% des BIP (Meister in Schweizerische Handelszeitung vom 16.-22.9.2009). Vergleicht man dies jedoch mit dem enormen Klumpenrisiko der beiden Grossbanken UBS und Crédit Suisse – so belief sich etwa die Bilanzsumme von UBS und Crédit Suisse 2009 auf das Siebenfache des Bruttoinlandprodukts der Schweiz – für die schweizerische Volkswirtschaft, dann stellt sich schon die Frage, warum diese übergrossen Geschäftsbanken nicht schleunigst in kleinere Teilbanken aufgeteilt werden.

Der frühere Nationalbankdirektor und Professor für Bankenfragen an der Universität Zürich, Urs Bichler, sieht angesichts des enormen Klumpenrisikos der beiden schweizerischen Grossbanken für die Wirtschaft und den Finanzplatz Schweiz vier mögliche Lösungsvarianten:
- Eine Abspaltung des Investment Bankings vom Rest der Bank,
- eine Sondersteuer für grosse Banken,
- eine Einschränkung der grössten Anbieter via Wettbewerbspolitik sowie
- ein Verbot des Investment Bankings für Organisationen ohne volle Privathaftung de Eigentümer (Neue Zürcher Zeitung vom 6./7.2.2010).
Hingegen wäre die von Christoph Blocher vorgeschlagene Umbau der Grossbanken in eine Holdingstruktur zwecks einfacherer Teilliquidation keine Lösung, weil eine Holding nicht eine ausländische Tochter pleite gehen lassen kann, ohne massive Auswirkungen auf die Gesamtgruppe zu erleiden (Neue Zürcher Zeitung vom 6./7.2.2010).


Lösungsansätze

Es muss alles daran gesetzt werden, die Abkoppelung der Finanzwirtschaft von der (produktiven) Realwirtschaft rückgängig zu machen. Die Finanzwirtschaft muss wieder zum Diener der realen Wirtschaft werden, und nicht mehr zu deren Meister.

Es wäre dringend notwendig, zwischen Anlageprodukten, deren volkswirtschaftlicher Nutzen grösser ist als das volkswirtschaftliche Risikopotenzial, und Anlageprodukten, bei denen dies umgekehrt ist, zu unterscheiden. Insbesondere sollten Klumpenrisiken jeder Art ausgeschlossen werden. Gegen eine vernünftige Rendite – z.B. 4-5% real, d.h. nach Abzug der Inflation – ist nichts einzuwenden. Voraussetzung ist allerdings, dass den Gewinnen ein effektiver Wertezuwachs in der realen Wirtschaft gegenübersteht. Etwa ein Unternehmen, eine Wohn- oder Geschäftsimmobilie oder ein immaterieller Wert. Hingegen sollten hoch spekulative Anlageverhikel und ihre Anbieter gezwungen werden, das durch sie verursachte Risiko zu 100% selber zu tragen; staatliche Hilfen in Fällen von Verlusten sind prinzipiell auszuschliessen. Das Angebot hoch spekulativer Anlagen sollte auf Firmen und Institutionen beschränkt werden, die keine anderen, volkswirtschaftlich relevanten Leistungen erbringen. Mit anderen Worten: während der Staat die volkswirtschaftlich relevanten Bereiche der Banken - z.B. Vermögen von Kleinsparern, das Kreditwesen und den Zahlungsverkehr - garantieren sollte, müssen die Banken gehalten werden, Bereiche wie etwa das Investmentbanking in eigene Gesellschaften auszulagern, welche im Bedarfsfall auch konkurs gehen können.

Die völlige Abschaffung des Zinses oder gar die Einführung eines Negativzinses – wie das etwa die Freiwirtschafter vorschlagen – ist aus mehreren Gründen kontraproduktiv:
- Damit benötigtes Kapital in die reale Wirtschaft fliesst, braucht es einen – wenn auch limitierten – materiellen Anreiz. Ein nach oben begrenzter Zins ist da ein notwendiges Schmiermittel.
- Die freiwirtschaftliche Idee des Schwundgeldes entstand in einer Situation der Deflation, d.h. in einer Situation, also die Menschen das Geld horteten und es so dem Geld- und Güterkreislauf entzogen.
- Man darf nicht vergessen, dass ein wesentlicher Teil der Spargelder und Geldanlagen Bestandteil der Altersvorsorge sind – z.B. Pensionskassengelder. Wird die Verzinsung dieser Spargelder gestoppt, ist mittelfristig das ganze System der Altersvorsorge – auf jeden Fall desjenigen Teils, der auf dem Kapitaldeckungsverfahren beruht – gefährdet. Das zeigt sich heute bereits daran, dass viele Pensionskassen grosse Mühe haben, die erforderliche Mindestverzinsung zu erreichen. Sollte ausserdem der Aktienboom enden, droht das ganze System der Altersvorsorge zu implodieren.

Nominale Negativzinsen sind noch aus einem weiteren Grund nicht wünschenswert: Nominal negative Zinssatze führen dazu, dass die Menschen Bargeld horten. So wurde Anfang 2015 bekannt, dass eine ganze Reihe von Pensionskassen hohe Geldbeträge in bar horteten, was volkswirtschaftlich keinesfalls erwünscht sein kann. Oder die Anleger flüchten in Sachwerte. Das hat sich 2014 und 2015 etwa in verschiedenen Regionen der Schweiz gezeigt, wo als Folge der Negativzinsen durch die Nationalbank – und aufgrund der billigen Hypothekarkredite – ein regelrechter Run auf Immobilien stattfand, bei anhaltend steigenden Immobilienpreisen. Genau wie die Inflation führen nominal negative Zinsen zu einer grundlegenden Bevorzugung der Reichen und Superreichen: Menschen mit grossem (Geld-)Vermögen können leichter und schneller ihr Geldvermögen in Sachwerte umwandeln, z.B. in Form von Liegenschaften, Unternehmensanteilen oder anderen Sachwerten. Kleine und mittlere Sparer, die einen viel grösseren Teil ihres Geldes für die Lebenskosten benötigen, verfügen über zu kleine Volumina an Geld, um grössere Sachwerte zu erwerben. Bei Weitergabe der Nullzins- oder Negativzinsen verringern sich dagegen ihre Ersparnisse.

Deshalb müssten die Zentralbanken in Europa - also die EZB und die Schweizerische Nationalbank - alles daran setzen, die Geldmenge soweit zu reduzieren, dass eine moderate Verzinsung der Spareinagen möglich ist. Diese Verzinsung könnte auch nach unten abgestuft sein (z.B. bis 100'000.- pro Bank und Sparer/in Maximalverzinsung).


Angeführte Literatur
Bichlmaier, Simon
2009: Zu Geld und Ökonomie. Gelnhausen: Wagner-Verlag.
Hull, John C.
2009: Optionen, Futures und andere Derivate. München et al.: Pearson Studium.
Humane Wirtschaft
Sept./Okt. 2009: Berger, Wolfgang/Schmauder, Hermann: Neu und exklusiv für regionale Banken: Ein nachhaltig tragfähiges Geschäftsmodell.
Neue Zürcher Zeitung
6./7.2.2010: Tanz um die Grossbanken. Parteien suchen Lösungen für ein vertracktes Problem.
Otte, Max
2006: Der Crash kommt. Die neue Weltwirtschaftskrise und wie Sie sich darauf vorbereiten. Berlin: Ullstein/Econ.
Schweizerische Handelszeitung
16.-22.9.2009: Meister, Hans Ulrich: Wichtige Rolle für den Schweizer Markt.
Zeit-Fragen
5.1.2009: Elsässer, Jürgen: Über Ursachen und Konsequenzen der aktuellen Finanz- und Weltwirtschaftskrise. Die Diskussion der deutschen Linken.


Weiterführende Texte
Jäggi, Christian J.
2014: Das Zinsproblem. Meggen: Inter-Active. LE V26. 26 Seiten.
2014: Die Trennung von Produktions- und Finanzbereich. LE V12. Meggen: Inter-Active. 49 Seiten.
Bezugsadresse: creality@bluewin.ch.

 
 
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